Es war eine bewegende Woche: Das Regime der Deutschen Bahn, moralisch
unterhöhlt durch Bürokratismus und Mitropa-Fertigmampfe,
wankend unter dem Wirrwarr von Frühbucherrabatten, Gruppentarifen,
rosa Preisabschlägen und Mondscheintickets, wurde hinweggefegt
vom Volk. "Gebt uns die Bahncard wieder, die gute alte",
schrien aufgebrachte Bürger, von denen viele nie zuvor eine
Bahnhofstoilette geschweige einen Bahnsteig betreten oder bei einem
Infoschalter um eine Anschlussverbindung von Bad Oeynhausen nach
Duisburg-Wedau gebeten hatten.
Der Aufruhr drang als grimmes Gemurmel bis in den hermetisch abgeschlossenen Vorstandsbunker der Bahn. "Was tuzn?", fragte
Hartmut Mehdorn, der müde Konzernlenker seine Berater. "Kotau!
Mach den Kotau!", war die Antwort. So nannte man im alten China
die demütige Ehrenbezeigung, wenn der Kopf den Boden berührt.
Unter modernen Managern gilt der Kotau als nicht mehr zeitgemäss
und überdies gefährlich. Denn hätte Mehdorn sich
so tief verbeugt wie die alten Chinesen, deren Wirbelsäulen
elastisch waren, wäre er aus dem 24. Stock des Bahn-Hauptquartiers
in Frankfurt gefallen und in den düsteren Grünanlagen
aufgeprallt, wo Junkies und gefeuerte Bahnvorstände herumlungern.
Die Deutschen kümmert das nicht. Sie stürmen
die Bahnhöfe, schluchzen leise, wenn sie die neue Bahncard
50 in Händen halten und zittrig ihre Unterschrift auf die Rückseite
setzen.
Butterbrot essende
Menschen in Kniebundhosen,
lesende Philosophiestudenten, kinderreiche Familien und Likör
trinkende Damenstimmungsgruppen besetzen die Bänke der Pendlerzüge,
es schallt ein "Hallo!" und "Sie auch hier?"
durch die Waggons, Flaschen kreisen, und spielnde Kinder werden
aus den Fenstern gehalten. Tönt der schrille Pfiff des Schaffners
durch die Waggons, winken die Reisenden fröhlich mit ihrer
Bahncard und vergessen, dass die Verwandten, die sie jetzt besuchen
können, längst tot sind. 200 Euro kostet die Bahncard
50. Insgeheim wissen wir: 200 Euro abzufahren - das schafft man
nur, wenn man die Schiene auch zum Zigarettenholen, Austreten und
Bier holen benutzt wird.
Doch gleichviel! Deutschland
fährt und fährt.
Das Volk wird in eine schläfrige Stimmung versetzt, eingelullt
durch das Rattern und Knarzen der alten Waggons und das gleichmässige
Vorbeiziehen von Telegrafenmasten und Möbel-Einkaufszentren.
Irgendwo da draussen werden Entscheidungen getroffen, Reformen eingeleitet,
Regierungen gestürzt und Kriege verloren. Uns interessiert
das alles nicht mehr. Wir haben die Bahncard. Die alte. |