Dinge, so oder so

Zurück

 

Die Dinge der Woche (03. August 2003)
 

  Es war eine bewegende Woche: Das Regime der Deutschen Bahn, moralisch unterhöhlt durch Bürokratismus und Mitropa-Fertigmampfe, wankend unter dem Wirrwarr von Frühbucherrabatten, Gruppentarifen, rosa Preisabschlägen und Mondscheintickets, wurde hinweggefegt vom Volk. "Gebt uns die Bahncard wieder, die gute alte", schrien aufgebrachte Bürger, von denen viele nie zuvor eine Bahnhofstoilette geschweige einen Bahnsteig betreten oder bei einem Infoschalter um eine Anschlussverbindung von Bad Oeynhausen nach Duisburg-Wedau gebeten hatten.
  Der Aufruhr drang als grimmes Gemurmel bis in den
hermetisch abgeschlossenen Vorstandsbunker der Bahn. "Was tuzn?", fragte Hartmut Mehdorn, der müde Konzernlenker seine Berater. "Kotau! Mach den Kotau!", war die Antwort. So nannte man im alten China die demütige Ehrenbezeigung, wenn der Kopf den Boden berührt. Unter modernen Managern gilt der Kotau als nicht mehr zeitgemäss und überdies gefährlich. Denn hätte Mehdorn sich so tief verbeugt wie die alten Chinesen, deren Wirbelsäulen elastisch waren, wäre er aus dem 24. Stock des Bahn-Hauptquartiers in Frankfurt gefallen und in den düsteren Grünanlagen aufgeprallt, wo Junkies und gefeuerte Bahnvorstände herumlungern.
  Die Deutschen kümmert das nicht. Sie stürmen die Bahnhöfe, schluchzen leise, wenn sie die neue Bahncard 50 in Händen halten und zittrig ihre Unterschrift auf die Rückseite setzen.
  
Butterbrot essende Menschen in Kniebundhosen, lesende Philosophiestudenten, kinderreiche Familien und Likör trinkende Damenstimmungsgruppen besetzen die Bänke der Pendlerzüge, es schallt ein "Hallo!" und "Sie auch hier?" durch die Waggons, Flaschen kreisen, und spielnde Kinder werden aus den Fenstern gehalten. Tönt der schrille Pfiff des Schaffners durch die Waggons, winken die Reisenden fröhlich mit ihrer Bahncard und vergessen, dass die Verwandten, die sie jetzt besuchen können, längst tot sind. 200 Euro kostet die Bahncard 50. Insgeheim wissen wir: 200 Euro abzufahren - das schafft man nur, wenn man die Schiene auch zum Zigarettenholen, Austreten und Bier holen benutzt wird.
  Doch gleichviel!
Deutschland fährt und fährt. Das Volk wird in eine schläfrige Stimmung versetzt, eingelullt durch das Rattern und Knarzen der alten Waggons und das gleichmässige Vorbeiziehen von Telegrafenmasten und Möbel-Einkaufszentren. Irgendwo da draussen werden Entscheidungen getroffen, Reformen eingeleitet, Regierungen gestürzt und Kriege verloren. Uns interessiert das alles nicht mehr. Wir haben die Bahncard. Die alte.

 

Zurück