Dinge, so oder so

 

Komisch, eigentlich - seltsam, irgendwie
Nachdenkliches in Sachen Sport (28. Dezember 2003)
 

Komisch, eigentlich - seltsam, irgendwie

  Die Gans verdaut; Geschenke verteilt; mal wieder in der Kirche gewesen; bei Kerzenlicht seltsame Musik aufgelegt, die Kinder ungewöhnlich artig - Oh du fröhliche, dieses Mal also 2003. Und immer nach Weihnachten rüttelt schon wieder das nächste Jahr beim Tor um Einlass. Den Sport betreffend kommen einem so ganz komische Gedanken. Beispielsweise der da: Kann es eigentlich sein, dass es von Jahr zu Jahr immer seltsamer wird?

  Skispringen: Jahrelang bestand der Tag nach Sylvester nebst höllischen Kopfschmerzen darin, sich mit einem Stützbier vor dem Fernsehgerät einzufinden und dahin gehend auf Besserung des Allgemeinbefindens zu hoffen, indem man völlig emotionslos diesen maskierten Schneehüpfern zugeguckt hat. Wie sie da den Bückling machen, alle in derselben Spur. Der TV-Kommentator spricht, die dünnen Heringe strecken sich, stürzen sich, fliegenden Fischen gleich, über den Schanzentisch in die Luft, um Sekunden später in irgendeinem arschkalten Gefrierfach zu landen. Herrllich. Unsereins suchte zwecks Linderung seiner Unpässlichkeit im Kühlschrank nach dem Rollmops von Nadler, der im Fernsehen quatschte was über Adler. Es war die Zeit der sonoren Fernsehstimmen, die flüsterten, wenn die Jungs flogen. Theaterkritikern gleich, Leisetreter mit Felleinlagen in den Schuhen und Samt in der Stimme.

  Vorbei, erledigt, Schnee von gestern. Mittlerweise schreit beim Springen das Publikum vor Ort ("Ziiieeeehh!"), die Tochter daheim ("Hannniiiiehh!") - und auch aus dem TV-Lautsprecher kommt eine für Kopfschmerzverhältnisse völlig unangebrachte fonetische Schmerzufügung. Mädels kreischen, TV-Sprecher brüllen, dünne Heringe quasseln dummes Zeug wie: "Ich mach' mein Zeugs." Selbst beim Skispringen am Neujahrstag also kann man nicht mehr einschalten, um einfach nur mal abzuschalten. Und der, der den Kater hat, pult sich vor der Glotze haarfeine Rollmopsgräten aus den Zähnen, bekommt ein furchtbar mieses Gefühl in der Magengegend. Was nicht im zuvor getätigten Alkoholmissbrauch begründet liegt, sondern im Wissen, dass in diesem zum Heldenepos aufgepeppten Skisprungzirkus der Hunger keine Not ist, sondern die Hungersnot verordnet wird.

  Weiss der Geier warum, aber im Reich der Adler darf zwar für Schokolade ("Milka") Werbung gemacht werden, doch zu futtern gibt's nur Magerkost. Es gilt die Regel: Fett fliegt schlecht. Wer also Fett ansetzt, fliegt - aus der Mannschaft. Skispringen: Vorgestern noch hatten wir gefeierte Idole, mutige Burschen, die sich in die Tiefe stürzen. Mittlerweise zeigen sie uns leptosame Gestalten, wie sie baden gehen. Abgemagerte Hungerleider, die, o Wunder, dennoch fähig sind, in geduckter Haltung auf jener Spur zu fahren, die zu Höchstleistungen führt.

  Komisch, eigentlich. Seltsam, irgendwie. Was ist bloss los mit dem Sport, was ist passiert? Sind unsere Helden jetzt wirklich Opfer, oder ist das Opfern von Helden mittlerweise ein neuer Sport?

  Hmh. Was ist aus Boris Becker geworden? Warum werden die Schuhmachers suspekt? Matthäus ist hinüber, Steffenberg, pardon: Effenberg, geflüchtet. Wie überhaupt die Idealimporte aus Bayern im Ruf stehen, keine Volltreffer mehr zu sein; weil sie zu viel geknallt haben. Rummigge, Beckenbauer, Hitzfeld, Kahn: Die Boulevardpresse schlachtet eben auch Geschehnisse aus, deren Ursprünge mit Befindlichkeiten unterhalb der Gürtellinie zu tun haben.

  Das Fleisch ist willig, der Geist ist schwach - und das hat nichts mit Sport zu tun, jedoch mit dessen Grundprinzipien, wonach der Preis der Popularität zuweilen so hoch werden kann, dass er uns die Vorbilder kostet. Ständig das gleiche Spiel: Erst geschätzt, dann geliebt, aus Verehrung entsteht Vergötterung - und dann: Demaskierung. Skispringer als Hungerleider, Kicker als Kotzbrocken, Familientypen verlassen Frau und Kinder, Asketen entpuppen sich als Säufer oder Arzneischränke.

  2004 rüttelt um Einlass. Den Sport betreffend kommen einem ganz komische Gedanken. Es sind Bedenken um das Wohlbefinden jener Typen, die ihrem Sport vieles opfern - und dann, irgendwann, geopfert werden. Seltsam, oder nicht?

 

Zurück