Komisch,
eigentlich - seltsam, irgendwie
Die
Gans verdaut; Geschenke verteilt; mal wieder in der Kirche gewesen;
bei Kerzenlicht seltsame Musik aufgelegt, die Kinder ungewöhnlich
artig - Oh du fröhliche, dieses Mal also 2003. Und immer nach
Weihnachten rüttelt schon wieder das nächste Jahr beim
Tor um Einlass. Den Sport betreffend kommen einem so ganz komische
Gedanken. Beispielsweise der da: Kann es eigentlich sein, dass es
von Jahr zu Jahr immer seltsamer wird?
Skispringen: Jahrelang bestand der Tag nach Sylvester
nebst höllischen Kopfschmerzen darin, sich mit einem Stützbier
vor dem Fernsehgerät einzufinden und dahin gehend auf Besserung
des Allgemeinbefindens zu hoffen, indem man völlig emotionslos
diesen maskierten Schneehüpfern zugeguckt hat. Wie sie da den
Bückling machen, alle in derselben Spur. Der TV-Kommentator
spricht, die dünnen Heringe strecken sich, stürzen sich,
fliegenden Fischen gleich, über den Schanzentisch in die Luft,
um Sekunden später in irgendeinem arschkalten Gefrierfach zu
landen. Herrllich. Unsereins suchte zwecks Linderung seiner Unpässlichkeit
im Kühlschrank nach dem Rollmops von Nadler, der im Fernsehen
quatschte was über Adler. Es war die Zeit der sonoren Fernsehstimmen,
die flüsterten, wenn die Jungs flogen. Theaterkritikern gleich,
Leisetreter mit Felleinlagen in den Schuhen und Samt in der Stimme.
Vorbei, erledigt, Schnee von gestern. Mittlerweise schreit
beim Springen das Publikum vor Ort ("Ziiieeeehh!"), die
Tochter daheim ("Hannniiiiehh!") - und auch aus dem TV-Lautsprecher
kommt eine für Kopfschmerzverhältnisse völlig unangebrachte
fonetische Schmerzufügung. Mädels kreischen, TV-Sprecher
brüllen, dünne Heringe quasseln dummes Zeug wie: "Ich
mach' mein Zeugs." Selbst beim Skispringen am Neujahrstag also
kann man nicht mehr einschalten, um einfach nur mal abzuschalten.
Und der, der den Kater hat, pult sich vor der Glotze haarfeine Rollmopsgräten
aus den Zähnen, bekommt ein furchtbar mieses Gefühl in
der Magengegend. Was nicht im zuvor getätigten Alkoholmissbrauch
begründet liegt, sondern im Wissen, dass in diesem zum Heldenepos
aufgepeppten Skisprungzirkus der Hunger keine Not ist, sondern die
Hungersnot verordnet wird.
Weiss der Geier warum, aber im Reich der Adler darf
zwar für Schokolade ("Milka") Werbung gemacht werden,
doch zu futtern gibt's nur Magerkost. Es gilt die Regel: Fett fliegt
schlecht. Wer also Fett ansetzt, fliegt - aus der Mannschaft. Skispringen:
Vorgestern noch hatten wir gefeierte Idole, mutige Burschen, die
sich in die Tiefe stürzen. Mittlerweise zeigen sie uns leptosame
Gestalten, wie sie baden gehen. Abgemagerte Hungerleider, die, o
Wunder, dennoch fähig sind, in geduckter Haltung auf jener
Spur zu fahren, die zu Höchstleistungen führt.
Komisch, eigentlich. Seltsam, irgendwie. Was ist bloss
los mit dem Sport, was ist passiert? Sind unsere Helden jetzt wirklich
Opfer, oder ist das Opfern von Helden mittlerweise ein neuer Sport?
Hmh. Was ist aus Boris Becker geworden? Warum werden
die Schuhmachers suspekt? Matthäus ist hinüber, Steffenberg,
pardon: Effenberg, geflüchtet. Wie überhaupt die Idealimporte
aus Bayern im Ruf stehen, keine Volltreffer mehr zu sein; weil sie
zu viel geknallt haben. Rummigge, Beckenbauer, Hitzfeld, Kahn: Die
Boulevardpresse schlachtet eben auch Geschehnisse aus, deren Ursprünge
mit Befindlichkeiten unterhalb der Gürtellinie zu tun haben.
Das Fleisch ist willig, der Geist ist schwach - und
das hat nichts mit Sport zu tun, jedoch mit dessen Grundprinzipien,
wonach der Preis der Popularität zuweilen so hoch werden kann,
dass er uns die Vorbilder kostet. Ständig das gleiche Spiel:
Erst geschätzt, dann geliebt, aus Verehrung entsteht Vergötterung
- und dann: Demaskierung. Skispringer als Hungerleider, Kicker als
Kotzbrocken, Familientypen verlassen Frau und Kinder, Asketen entpuppen
sich als Säufer oder Arzneischränke.
2004 rüttelt um Einlass. Den Sport betreffend kommen
einem ganz komische Gedanken. Es sind Bedenken um das Wohlbefinden
jener Typen, die ihrem Sport vieles opfern - und dann, irgendwann,
geopfert werden. Seltsam, oder nicht? |